Ein gesünderer Lebensstil hilft Infarkte zu vermeiden
Für den Mediziner Prof. Dr. Gustav Dobos ist die Gesundheit des Herzens eng mit Gewohnheiten verknüpft. Ob schlechte Ernährung, wenig Bewegung oder psychischer Stress: Der Herzspezialist und Naturheilkundler ruft dazu auf, sich rechtzeitig um unser wichtigstes Organ zu kümmern – bevor es erkrankt. Denn die meisten Herzinfarkte könnten durch einen gesunden Lebensstil verhindert werden. Das Interview führte Torsten Mertz.
10.01.2020
BIO: Herr Professor Dobos, kein anderes Land in Europa führt so viele Herzkathetereingriffe durch wie Deutschland. Ihrer Meinung nach sind das viel zu viele. Warum halten Sie die Häufigkeit von Herzkatheter-Untersuchungen für bedenklich?
Gustav Dobos: Die Kardiologie setzt überwiegend auf Technik. Pro Jahr werden fast 900.000 Linksherzkatheteruntersuchungen vorgenommen und davon sind etwa 380.000 Gefäßerweiterungen, darunter 342.000 Stents, also Implantate. Dass dies die Lebenserwartung nicht verlängert, zeigen mehrere Studien. Nur, wenn ein akuter Infarkt vorliegt, ist eine Gefäßerweiterung sinnvoll und lebensrettend. Für eine Behandlung chronischer Erkrankungen eignen sie sich nicht
Warum gibt es denn dann diese vielen Untersuchungen und Eingriffe in Deutschland?
Nach Ansicht von Experten führt das deutsche Abrechnungssystem zu dem Überhang an Techno-Medizin: Ein zweitägiger stationärer Aufenthalt, um ein Medikament gut einzustellen, bringt einem Krankenhaus ungefähr 800 Euro, ein weiterer Tag plus einer bildgebenden Untersuchung durch einen Katheter (Koronarangiografie) 2.100 Euro. Dasselbe Verfahren mit dem Legen eines Stents erwirtschaftet bereits 4.700 Euro. Trotzdem bieten Stents bei einer sogenannten stabilen Angina Pectoris keinen Vorteil gegenüber einer Medikamententherapie.
Stents sind außerdem nicht ohne Risiko: Atherosklerose ist ein diffuses Beschwerdebild. Heute kann man eine oder mehrere Engstellen weiten. Aber morgen blockieren die Arterien vielleicht an einer ganz anderen Stelle.
Sie als Naturheilkundler setzen vor allem auf einen Änderung des Lebensstils. Ihrer Meinung nach, ließen sich 90 Prozent aller Herzinfarkte und 80 Prozent aller Schlaganfälle vermeiden. Wie das?
Die meisten Fakten zu den Risikofaktoren sind bekannt – zu viel Stress, zu wenig Bewegung, falsche und Über-Ernährung. Wir haben daher Modelle entwickelt, wie Patienten den Einstieg in den Umstieg in ein herzgesünderes Leben finden. Unser Ansatz hat zwar die Risiken im Blick, fokussiert aber auf die individuellen positiven Ressourcen der Patienten – das nennt man Salutogenese. Zu meinem Team gehören nicht nur Ärzte, sondern auch Physiotherapeuten, Yogalehrer oder Ernährungsexperten. Patienten müssen dabei aktiv mitarbeiten, um das Wichtigste zu lernen: Selbstfürsorge. Auch unser Acht-Wochen-Programm, das ich in meinem Buch darstelle, basiert auf den Grundsätzen der Mind-Body-Medizin – einem Therapieansatz, der körperliche und psychische, soziale und spirituelle Aspekte des Menschen berücksichtigt.
Acht Wochen sind ein ungewöhnlicher Zeitrahmen ...
Das Einstiegsprogramm geht genau acht Wochen, weil es so lang dauert, bis unser Gehirn begriffen hat, dass da eine Veränderung im Gang ist, und entsprechende Nervenzellverbindungen geknüpft werden. Die verankern zunächst ein neues Verhalten, danach wird alles leichter und so selbstverständlich wie Zähneputzen.
Verraten Sie uns die wichtigsten Tipps für einen herzgesunden Lebensstil.
Was die Ernährung betrifft, wäre eine sogenannte mediterrane Vollwerternährung am gesündesten: Eine Ernährung mit viel Obst und Gemüse, wenig verarbeiteten Lebensmitteln, viel Vollkornprodukten, Nüssen, Olivenöl und wenig Fleisch. Eine vegane Ernährung senkt den Cholesterinspiegel um bis zu 35 Prozent und erreicht damit mehr als ein medikamentöser Cholesterinsenker. Und das berühmte Sprichwort „An apple a day keeps the doctor away“ kann man getrost wörtlich nehmen: Der tägliche Verzehr eines einzigen Apfels rettet in Großbritannien jährlich 8.500 Leben. Besser sind noch getrocknete Apfelringe – die können das schädliche LDL-Cholesterin fast so gut senken wie die Statine in den Medikamenten.
Und dann ist natürlich Bewegung das A und O: Schon zehn Minuten zügiges Gehen täglich reduzieren das Risiko einer Herzerkrankung bereits um 20 Prozent. Mittelfristig sollten Sie aber mehr laufen als zehn Minuten täglich.
Was raten Sie denen, die am liebsten auf dem Sofa sitzen und alle Wege mit dem Auto zurücklegen?
Das viele Sitzen erhöht das Herzrisiko erheblich! Man sollte sich vor Augen führen, dass schon eine kleine Veränderung des Lebensstils die Lebenserwartung um Jahre, sogar Jahrzehnte verlängern kann. Leider neigen wir dazu, erst dann zu reagieren, wenn es schon recht spät ist. Achtsamkeit auf den eigenen Körper sollte einen viel höheren Stellenwert in unserem Bewusstsein bekommen. Einer meiner Patienten hatte vor 35 Jahren eine lebensbedrohliche Engstelle eines Herzkranzgefäßes mit schwerer Luftnot und Herzschmerzen. Nach einer Bypass-OP begann er, täglich ein bis zwei Stunden Rad zu fahren. Heute, mit 85 Jahren geht es ihm immer noch gut. Es haben sich viele schützende Ersatzgefäße gebildet. Der Körper hat hervorragende Selbstheilungskräfte, die wir etwas mit Geduld wesentlich besser nutzen könnten.
Was kann man sonst noch tun? Was ist der „Mind“-Anteil in Ihrem Konzept?
Mit mentalen Prozessen wie Meditation, Achtsamkeitsübungen, Yoga, Entspannung usw. ermöglichen wir ein neues Körpergefühl und sorgen dafür, Stress abzubauen. Die Mind-Body-Medizin wappnet die Patienten mit einer „dickeren Haut“. Kombiniert mit naturheilkundlichen Selbsthilfe-Strategien erfahren die Patienten, was gesünder leben für sie bedeuten kann.
Die von Ihnen vorgeschlagenen Übungen klingen im Einzelnen gar nicht so aufwendig, sie sind aber doch sehr zahlreich. Wie soll man all das alles in seinen Alltag integrieren, was Sie in Ihrem Buch raten?
Es geht nicht darum, von heute auf morgen sein ganzes Leben zu verändern. Aber sich kleinere Ziele zu setzen und diese über einen Zeitraum von 8 Wochen einzuhalten führt dazu, dass diese in den Alltag übergehen. Erstellen Sie für sich oder die Familie einen Wochenplan, was Sie essen möchten. Planen Sie bewusst mehr Obst und Gemüse ein und lassen Fleisch einfach mal weg. Kaufen Sie entsprechend ein, das schont auch den Geldbeutel. Lassen Sie auf kürzeren Strecken das Auto stehen, oder nutzen Sie Treppen statt Aufzug. Damit bewegen Sie sich automatisch mehr. All diese Veränderungen bewirken schon sehr viel und bedeuten ja keinen Verzicht auf Genuß.
Wann sollen Menschen denn damit anfangen? Wenn sie fünfzig sind?
Nein, viel früher! Herzgesundheit ist nicht nur für ältere Menschen, sondern auch für Jugendliche wichtig. Arterienverkalkung geschieht schleichend, und die ersten Schlieren an den Gefäßwänden findet man schon bei Zehnjährigen, Plaques bei 20-Jährigen.
Sie haben einmal gesagt, das Medizinsystem habe kapituliert, da es ihm nicht gelingt, die Bevölkerung zu Lebensstiländerungen zu veranlassen. Wie könnte man die Menschen denn erreichen?
Wir müssen Überzeugungsarbeit dafür leisten, dass eine gesunde Lebensführung und eine hohe Lebensqualität kein Widerspruch sind, sondern absolut kompatibel. In unseren Köpfen scheint es tief verankert zu sein, dass Veränderungen mit Verzicht zu tun haben, dabei bedeutet die bewusste Entscheidung für eine gesündere Ernährung, Sport und Achtsamkeit eigentlich eine Belohnung für den Körper. Ist unser Körper gesund und erholt, so ist er auch leistungsfähiger und glücklicher.
Ein Kapitel Ihres Buches heißt „Frauenherzen schlagen anders“. Was hat es damit auf sich?
Frauen sind bis zu den Wechseljahren vor Infarkten weitgehend geschützt, weil ihre Hormone sich positiv auswirken. Danach haben sie sogar ein leicht höheres Risiko als Männer, sie sterben schneller nach einem Infarkt. Sie werden aber auch häufiger falsch diagnostiziert, weil Frauen andere Symptome haben als Männer, es gibt seltener den klassischen Krampf in der Brust. Es gibt das sogenannte Stress- Kardiomyopathie, eine Art Herzkrampf, das bei uns fast nur bei Frauen auftritt. Frauen reagieren auch anders auf Medikamente. Jetzt gibt es ja bereits einen Überhang weiblicher Medizinerinnen, vielleicht verbessert das die Kardiologie.
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