Fleischkonsum

Interview mit Sarah Wiener

Die Fleischindustrie steht erneut massiv in der Kritik. BIO sprach mit Fernsehköchin und Politikerin Sarah Wiener über die Notwendigkeit, tierischen Produkten und insbesondere Fleisch wieder mehr Wertschätzung entgegen zu bringen. Kollektiven Fleischverzicht hält sie dabei für den falschen Weg. 

27.06.2020

Interview mit Sarah Wiener | Tierwohl Fleisch Massentierhaltung Massentierhaltung Ernährung Ethik

© Sarah Wiener Stiftung

Sarah Wiener (57) ist in Wien aufgewachsen. In den 1980er-Jahren zog sie nach West-Berlin, wo sie unter anderem im Kreuzberger Restaurant ihres Vaters arbeitete. Ohne Schul- oder Berufsabschluss arbeitete sie sich zur bekanntesten Fernsehköchin Deutschlands hoch. Wiener betreibt neben dem Biobauernhof Gut Kerkow unter anderem Restaurants und einen Catering-Service. Seit 2019 sitzt die Ernährungsexpertin für die österreichischen Grünen im EU-Parlament. Sie war als parteilose Kandidatin zur Wahl angetreten.

 

Frau Wiener, was macht gutes Fleisch für Sie aus?

Als Köchin denke ich Fleisch vom Geschmack her, der Qualität, dem Reifezustand, der Maserung und einem ph-Wert, den man nur mit stressfreier Schlachtung erreicht. Als Biobäuerin und inzwischen auch als Politikerin kann ich es aber auch ganz anders denken: Meine Umwelt ist meine Mitwelt und wir ernähren uns vom Lebendigen. Ich kann nicht nachvollziehen, dass irgendjemand mit Lust in ein Schnitzel beißt, für das ein Tier gequält worden ist.

Was muss sich in den Ställen ändern?

Gutes Fleisch kann meiner Meinung nach nur von Tieren kommen, die ein wesensgemäßes Leben geführt haben. Dazu gehören zum Beispiel bodengebundene Tierhaltung, Zugang zur Weide oder soziale Kontakte. Der Medikamenteneinsatz im ganzen Stall – etwa wenn Antibiotika übers Wasser oder Futter verteilt wird, weil Tiere in drängender Enge stehen – zeigt, wie pervers die Haltung ist. Wem das Tier egal ist, wird sich zumindest eingestehen müssen: Auch wir bekommen zusehends mehr Probleme mit multiresistenten Keimen. Früher oder später sind nicht mehr nur die Tiere, sondern auch wir die Leidtragenden.

Was sagen Sie denen, die klagen, sich kein Bio-Fleisch leisten zu können?

Als ehemalige Sozialhilfeempfängerin weiß ich, dass sich ein Teil der Bevölkerung ganz sicher kein hochwertiges Biofleisch leisten kann. Aber wir können die soziale Frage nicht mit der ökologischen mischen. Ein großer Anteil der Bevölkerung könnte sich durchaus gut hergestelltes Fleisch leisten – und tut es trotzdem nicht. Diejenigen sollten die anderen nicht als Schutzschild missbrauchen. 20 Prozent haben nicht genug Geld dafür, also essen wir solidarisch nur Produkte aus Massentierhaltung? Das kann nicht die Lösung sein.

Sie sind nicht gerade als Verfechterin veganer Ernährung bekannt. Aber wäre es nicht am effektivsten, wenn wir alle auf Fleisch verzichten würden?

Ich finde es gut, dass viele Menschen Tiere schützen möchten und die industrielle Fleischproduktion ablehnen. Das versuche ich auch. Nur hört das Leid nicht auf, wenn ich im reichen Mitteleuropa versuche, das Richtige zu tun. Der Fleischhunger der Welt ist so groß, dass Tierproduktion oder -transporte in Drittländer ausgelagert werden, in denen es noch viel grausamer zugeht als hierzulande. Viele denken, dass ich die fleisch- und veganerfressende Köchin bin. Dabei war ich viele Jahre lang Vegetarierin und bin heute Flexitarierin. Ich bin überzeugt davon, dass wir zu viel und das falsche Fleisch essen. Aber auch beim Vegetarismus und Veganismus müssen wir über Lebensmittelqualität sprechen, über Herstellungsprozesse und den Handel. Wenn ein vegan lebender Mensch hochverarbeitete Fleischersatzprodukte, Analogkäse und Margarine zu sich nimmt, halte ich das auch für nicht vernünftig.

Wie sieht ein verantwortungsvolles Essverhalten aus?

Es ist der falsche Weg, anderen vorzuschreiben, was sie zu essen haben. Die Lösung kann aus meiner Sicht nur individualisiertes, vielfältiges, regionales und ökologisches Essen sein. Es gibt Menschen, die können sehr gut auf Fleisch und Milchprodukte verzichten. Aber es gibt auch Leute, von denen ich glaube, dass sie ein Fleischverlangen qua Mikrobiom haben, ihrer Sozialisation und Geschichte. Die kann man nicht zwingen, nur noch einmal die Woche 50 Gramm davon zu essen. Oder gar keins. Aber wir könnten alle für besseres Fleisch aus wesensgemäßer Tierhaltung und für faire Preise eintreten.

 

 

 

Dieser Beitrag stammt aus 

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