Ordnungstherapie: Gesund durch innere und äußere Ordnung
In der dritten Folge unserer Serie »Die Welt der Alternativ-Therapien« erklärt Ihnen Dr. med. Isabel Bloss, was die Ordnungstherapie ist und wie sie funktioniert.
16.11.2022
Ordnungstherapie – Grundlage naturheilkundlicher Verfahren
Die Ordnungstherapie ist eines der ältesten Therapie- und Heilverfahren in der Geschichte der Medizin. Sie stellt die Grundlage aller anderen naturheilkundlichen Verfahren dar, auf der die meisten weiteren Therapien aufbauen. Schon sehr früh in der Medizingeschichte gab es Ärzte wie Hippokrates (460–377 v. Chr.), die entsprechende Hinweise und Empfehlungen gaben. Auch in der Ayurvedamedizin gibt es Ratschläge, die sich auf die Ordnungstherapie beziehen. In Europa haben vor allem der Schweizer Arzt Maximilian Oskar Bircher-Benner (1867–1939) mit seinem Buch »Die Ordnungsgesetze des Lebens« sowie der Pfarrer Sebastian Kneipp (1821–1897) die Ordnungstherapie geprägt.
Von Kneipp stammt das treffende Zitat: »Ich konnte den meisten kranken Menschen erst helfen, als ich Ordnung in ihre Seelen und damit in ihr Leben brachte.« Dieses Zitat umschreibt das Prinzip der Ordnungstherapie recht gut – eine allgemein gültige Definition der Ordnungstherapie gibt es jedoch bis heute nicht. Es geht im Wesentlichen um eine gesunde oder gesundmachende Lebensführung, die die Eigenverantwortung der oder des Betroffenen in den Mittelpunkt stellt. Dabei ist die zentrale Therapie, den Lebensstil dahingehend zu verändern, dass sich die Gesundheit verbessert bzw. erhalten bleibt.
Die Prinzipien der Ordnungstherapie
Das Wirkprinzip der Ordnungstherapie lässt sich einfach umschreiben: Überflüssiges wird weggelassen, Fehlendes wird ergänzt.
Diagnostik und Therapie bauen in erster Linie auf den drei Säulen
- Ernährung
- Bewegung
- Entspannung/Stressbewältigung
Es mag simpel klingen, aber allein durch eine gründliche Analyse und Veränderung dieser einzelnen Lebensbereiche lassen sich viele Erkrankungen sehr positiv beeinflussen.
Die Ordnungsgesetze nach Bircher-Brenner
Im Einzelnen formulierte der Arzt Bircher-Benner 1938 in seinen Empfehlungen folgende Bereiche, auf die sich die Anwender*innen naturheilkundlicher Therapien konzentrieren sollten:
Ordnungsgesetz der Nahrung
Empfohlen wird ein maßvoller und kluger Umgang mit Nahrung, wobei vegetarische Kost zu bevorzugen ist. Hinsichtlich Menge, Kalorienzufuhr und Nährstoffen sollte die Ernährung ausgewogen sein. Bircher-Brenner legte Wert auf das ausreichende und gründliche Kauen der Nahrung und eine entspannte und angenehme Atmosphäre während des Essens. Formuliert hat er das im sogenannten »Mundgesetz«, das bereits die Anfänge der modernen Ernährungsmedizin erkennen lässt.
Ordnungsgesetz von Haut und Lunge
Die Haut sollte regelmäßig (etwa an drei bis vier Tagen pro Woche jeweils eine halbe Stunde) Sonne, Wasser, Luft, Wärme und Kälte ausgesetzt werden. Die Lungen sollten durch regelmäßige Bewegung an frischer Luft gestärkt werden.
Ordnungsgesetz der Beziehung zur Schwerkraft
Der Bewegungsapparat benötigt zur gesunden Funktionsfähigkeit regelmäßige Betätigung, sonst drohen Krankheit und frühzeitiges Altern. Günstig sind hier drei bis vier Tage pro Woche, jeweils 30 bis 40 Minuten. Außerdem betont Bircher-Benner die bessere psychische Belastbarkeit eines Menschen mit trainiertem Körper.
Ordnungsgesetz des Lebensrhythmus
Um gesund zu bleiben, sollte der Mensch wieder mehr im Einklang mit der Natur und den Jahres-, aber auch Tageszeiten leben. Zu vermeiden ist daher etwa, nachts zu arbeiten und tagsüber zu schlafen oder spät abends größere Mahlzeiten zu sich zu nehmen.
Ordnungsgesetz des Seelenlebens
Erregungszustände und größere Aufregungen sowie disharmonische Beziehungen in Familie und Freundschaften gilt es möglichst zu vermeiden. Zeitgemäß ausgedrückt bedeutet diese Empfehlung, Stressauslöser im eigenen Alltag zu identifizieren und entsprechende Änderungen vorzunehmen. Dazu gehört etwa zu lernen, Nein zu sagen und überfordernde Situationen zu reduzieren.
Lebensumstände miteinbeziehen, Selbstheilungskräfte stärken
Ordnungstherapeutische Maßnahmen werden in der Weiterbildung Naturheilverfahren für Ärzt*innen gelehrt und sollten in jedem Therapieverfahren von Beginn an mitbedacht werden. Konkret bedeutet das, dass der oder die Anwender*in naturheilkundlicher Therapien die Lebensumständedes Patienten oder der Patientin umfassend analysieren und mit ihr besprechen sollte. Dabei informiert er die Patientin über Zusammenhänge zwischen Lebensstil und Erkrankung und benennt etwaige ungünstige beziehungsweise krank machende Aspekte ihrer Lebensweise.
Die eigentliche Therapie besteht in der Empfehlung, wie die Patientin ihre Lebensweise verbessern kann. Leidet die Patientin zum Beispiel unter Schlafstörungen, wird hinterfragt, ob ihr Tagesablauf ungünstig strukturiert ist oder ob es psychosoziale Stressoren gibt. Wichtig ist, dass die Betroffene die Erläuterungen nachvollziehen und mögliche Ursachen und Auslöser erkennen kann. Im nächsten Schritt gilt es, diese stressförderlichen Faktoren nach und nach aus dem Leben zu verbannen. Ist die Patientin für eine Änderung bereit, kann sie im Verlauf von Wochen, Monaten oder gar Jahren ihre schädlichen Gewohnheiten nach und nach ablegen, modifizieren beziehungsweise positiv verändern.
Die Ordnungstherapie beschränkt sich nicht nur auf den einzelnen Menschen. Deshalb gehört es auch zu den Aufgaben der Ordnungstherapie, sich um geregelte Beziehungen in der Familie und größeren Gemeinschaften zu bemühen – das heißt etwa anzuregen, dass die Patientin lernt, Grenzen zu setzen. Auch wird ihr empfohlen, ein harmonisches Verhältnis zur Umwelt und zur Natur zu pflegen.
Den (womöglich ungünstigen) Lebensstil der Patientin von Anfang an einzubeziehen, führt zu einer erhöhten Selbstwirksamkeit: Wenn mir als Patientin vermittelt wird, selbst konkret etwas tun zu können, um meine Gesundheit zu verbessern, kann dies sehr motivierend und stärkend sein. Nicht nur die Eigenaktivität, auch die Selbstheilungskräfte werden durch ordnungstherapeutische Maßnahmen gestärkt.
Andersherum ist die Ordnungstherapie auf die Einsicht, aber vor allem auch Mitarbeit der Patientin angewiesen. Am Beispiel der Schlafstörung lässt sich dies gut erkennen: Solange ungünstige Umstände wie Schichtarbeit bzw. gestörter und unregelmäßiger Tag-Nacht-Rhythmus, ungünstiges Essverhalten, Aufregung, belastende Situationen oder Lebensumstände das erholsame Ein- und Durchschlafen stören oder verhindern, kann mitunter die beste Heilpflanze wenig bis gar nichts ausrichten.
Wie wird die Ordnungstherapie eingesetzt?
Unterstützend zu anderen therapeutischen Maßnahmen können sich ordnungstherapeutische Maßnahmen bei fast allen chronischen Erkrankungen positiv auswirken, darunter vor allem:
- rheumatische Erkrankungen bzw. Schmerzsyndrome
- Erkrankungen der Verdauungsorgane
- Lungenerkrankungen
- Herz-Kreislauf-Erkrankungen
- neurotische Erkrankungen
- Krebserkrankungen
Fazit
Es geht bei der Ordnungstherapie immer darum, eine gesunde Grundlage für die Genesung zu schaffen – ähnlich der Wurzel eines Baumes –, damit Leben und Gesundheit langfristig und nachhaltig blühen können.
Text: Dr. med. Isabel Bloss
Bearbeitung durch die Onlineredaktion (ar)
Dr. med. Isabel Bloss » ist Ärztin für Allgemeinmedizin, Naturheilmedizin, anthroposophische Medizin sowie Traditionelle Chinesische Medizin (TCM). Sie ist in eigener Praxis in Ettlingen tätig, seit 2021 berät und behandelt sie Erwachsene, Kinder und Jugendliche auch online. Außerdem arbeitet sie als freiberufliche Medizinjournalistin und Fachautorin. Diese Kolumne schreibt sie im Wechsel mit Prof. Dr. Andreas Michalsen », Chefarzt der Abteilung Naturheilkunde am Immanuel Krankenhaus Berlin.
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