Solide ist das neue Cool
Der Kleiderschrank wird immer voller, und das schlechte Gewissen angesichts der dunklen Seiten der Modeindustrie immer größer – wer kennt das nicht? Aber es geht auch ganz anders: nachhaltig, bewusst und reduziert. Die Grüne-Mode-Expertin Kirsten Brodde erzählt in BIO, wie man sich von kurzlebigen Modetrends lossagt und trotzdem perfekt gekleidet ist.
Der Kleiderschrank wird immer voller, und das schlechte Gewissen angesichts der dunklen Seiten der Modeindustrie immer größer – wer kennt das nicht? Aber es geht auch ganz anders: nachhaltig, bewusst und reduziert. Die Grüne-Mode-Expertin Kirsten Brodde erzählt in BIO, wie man sich von kurzlebigen Modetrends lossagt und trotzdem perfekt gekleidet ist.
19.02.2020
© terovesalainen/ stock.adobe.com
Kirsten Brodde ist Deutschlands profilierteste Kritikerin der Textilindustrie. Sie leitet die globale Detox-Kampagne von Greenpeace, die sich mit den Umweltschäden der überhitzten Modebranche beschäftigt. Gemeinsam mit Alf-Tobias Zahn hat sie das Buch „Einfach Anziehend. Der Guide für alle, die Wegwerfmode satthaben“ verfasst. Das Interview führte Torsten Mertz, es ist zuerst erschienen in BIO 5/2018.
BIO: Liebe Frau Brodde, wir Deutschen kaufen im Durchschnitt fünf neue Kleidungsstücke pro Monat, das sind im Jahr 60 Stück. Warum glauben Sie, verwenden so viele Leute so viel Zeit in Geschäften oder shoppen im Internet? Es kann ja niemand behaupten, er oder sie hätte nicht genug zum Anziehen ...
Kirsten Brodde: Das ist tatsächlich überraschend, denn wie die meisten aus eigener Erfahrung wissen, ist im Kleiderschrank gar kein Platz mehr für die neu erworbenen Schätzchen. Dazu kommt, dass die Leute rund 40 Prozent dessen, was bereits im Schrank hängt oder liegt, selten oder nie tragen. Wir haben offenbar eine Beziehungskrise mit der Kleidung, die im Schrank hängt: Die Kleidungsstücke scheinen schnell aus der Liebe zu fallen, und zwar nicht weil der Reißverschluss kaputt oder Knopf ab ist, sondern weil man denkt, es sei nicht mehr neu oder chic genug.
Wer sind denn die Treiber, die die Menschen dazu bringen, fast täglich neue Kleidung zu kaufen, und sich immer wieder der Fast Fashion hinzugeben. Oft ja auch wider besseres Wissen, denn die katastrophalen Verhältnisse in den Fabriken sind ja bekannt, ebenso die negativen ökologischen Auswirkungen der Modeindustrie.
Die Treiber waren lange Zeit die klassische Werbung. Heute ist es zum einen der Onlinehandel – also dass man alles zu jeder Zeit mit einem Klick – bestellen kann, und jede Art von Hemmschwelle weggefallen ist. Der Laden ist immer geöffnet - und man wird noch nicht einmal gesehen dabei. Der andere Treiber ist dieses dauerhafte Sich-Selbst-Zeigen im Netz, vor allem über Instragram. Dort gibt es so furchtbare Hashtags wie #outfitoftheday oder kurz: #ootd. Hier zeigt man das eine Outfit für den Tag. Das kann man am folgenden Tag nicht mehr anziehen, da man es ja auf Instagram schon gezeigt hat. In der Kopplung von schneller Verfügbarkeit, Shoppen als Entertainment und dem dauerhafte Posen ist die Versuchung unendlich groß. Dem zu widerstehen, schafft man nicht von einem Tag auf den anderen. Das muss man wie einen Muskel trainieren.
Bei den jungen Leuten spielt die Peergroup und sich in einer Herde zu bewegen eine wahnsinnig wichtige Rolle. Das hat mich zu der Einsicht gebracht, dass ich eine neue Herde anbieten muss. Das bedeutet, dass man beispielsweise zusammen auf Tauschpartys geht oder diese sogar zusammen organisiert. Wer zu einem lifestyligen Second-hand-Event geht, hat nicht das Gefühl, ein Sonderling oder ein Zausel zu sein, das möchte wirklich niemand. Wenn die Sehnsucht ist, dazuzugehören und sich zu zeigen, dann muss man diese Sehnsucht befriedigen. Das geht auch mit einer anderen Mode. Bei meiner Tochter funktionierte es über das Do-It-Yourself, das Experimentieren mit dem Selbermachen.
Wie viele Teile kaufen Sie denn neu?
Bei persönlich war das eine interessante Entwicklung: Als Greenpace-Aktivistin habe ich es einfach, weil ich keinem strengen Dresscode folgen muss. Und ich gehöre vom Alter her nicht zur Generation Instagram, also nicht zu denen, die sich ständig, eigentlich täglich, im Netz zeigen müssen. Das heißt, mein Kleiderschrank war immer überschaubar. Das hat sich komplett geädert, als ich anfing, mich mit ökologischer Mode zu beschäftigen. Ich wurde damals zur Expertin und zum Einkaufsscout für Grüne Mode. Mein Kleiderschrank explodierte damals, was natürlich grotesk ist. Ich wurde auf einmal auf Grünen Modemessen in Versuchung geführt. Mein Kleiderschrank war dann zwar voll mit ökologisch einwandfreier Mode, aber immer noch viel zu voll. Mir ist das erst aufgefallen, als mir meine Teenager-Tochter, mir sagte: Mama, du kaufst ja mehr als ich. Damals wurde mir endgültig klar, dass es nicht nur darum geht, was ich kaufe, sondern auch wie viel.
Buchtipp
Kirsten Brodde, Alf-Tobias Zahn
Einfach anziehend
Der Guide für alle, die Wegwerfmode satthaben: In 10 Schritten zum öko-fairen Kleiderschrank
15,00 Euro
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