Klimaschutz und Psyche

Katharina van Bronswijk im Interview

Die Klimakrise ist seh- und spürbar. Dies löst in vielen Menschen Wut, Angst oder Trauer aus. Psychologin Katharina van Bronswijk erklärt im Interview, wie wir mit den Gefühlen, die die Klimakrise in uns auslöst, umgehen können.

08.09.2022

Katharina van Bronswijk im Interview | Umweltpsychologie Psychologie Klimaschutz Klimakrise

Das Klima verändert sich rapide, Tierarten sterben aus, Wälder brennen, Ernten fallen aus, Wasser wird knapp, wir leiden unter den Hitzewellen. Der Planet ist in einem desolaten Zustand und der Mensch ist dafür verantwortlich. Was dieses Wissen mit uns macht und wie wir mit den Gefühlen, die die Klimakrise in uns auslöst, gut umgehen können, hat BIO Katharina van Bronswijk gefragt. Als Psychologin und Vorsitzende der »Psychologists for Future« weiß sie auch, wie uns Wut, Angst und Trauer motivieren, mehr für den Klimaschutz zu tun.

BIO: Frau van Bronswijk, warum braucht es fürs Verstehen der Klimakrise auch die Psychologie?

Katharina van Bronswijk: Die Psychologie ist ja die Wissenschaft vom menschlichen Verhalten und Erleben, unseren Gedanken und Gefühlen. Und weil die Klimakrise menschengemacht ist, steckt zwangsläufig ganz viel Psychologie drin. Die Umweltpsychologie kann zum Beispiel erklären, wie es kommt, dass wir es besser wissen, aber anders handeln. Oder wie umweltbezogenes Verhalten zustande kommt.

Wir haben Erkenntnisse der Kommunikationspsychologie darüber, wie man abstrakte wissenschaftliche Konzepte und Phänomene wie die Klimakrise so formulieren kann, dass das menschliche Gehirn es gut verarbeiten kann. Die Sozialpsychologie erklärt, wie kollektives Denken und Handeln zustande kommen und wie Menschen sich gegenseitig beeinflussen. Wir sind soziale Wesen und das beeinflusst unser Verhalten tatsächlich mehr, als wir zugeben würden. Die Klinische Psychologie schließlich stellt sich die Frage, wie Menschen eigentlich verarbeiten, dass sie eine so düstere Zukunftsprognose haben und selbst Teil des Problems sind. Das kann sehr belastend sein.

BIO: Auf welche Weisen wirkt sich die Klimakrise auf unsere Psyche aus?

Katharina van Bronswijk: Die Klimakrise hat diverse Effekte auf unsere psychische Gesundheit. Allein dadurch, dass sie sich auf die körperliche Gesundheit auswirkt. Wir haben es mit Krankheitsbewältigung zu tun und müssen mit dem Verlust an Lebensqualität umgehen. Zum Beispiel werden Allergien und Asthmaerkrankungen zunehmen, was die Lebensführung sehr einschränken kann. Dann gibt es die direkteren Auswirkungen der Klimakrise, zum Beispiel die zunehmende Hitze. Hitze ist nicht gut für den Körper, sie belastet das Kreislaufsystem und kann zum Hitzschlag führen. Natürlich macht Hitze auch etwas mit dem Gehirn. Menschen werden unter Hitze aggressiver, außerdem gibt es in Extremhitzephasen mehr Suizidversuche. Hirnorganische Erkrankungen wie Demenz, Schizophrenien oder Bipolare Störungen treten häufiger auf. Da kann man sich natürlich fragen: Was hat das für Auswirkungen auf die Gesellschaft? Wenn alle aggressiver sind, kommt es häufiger zu Streit, vielleicht auch zu mehr Gewalt.

Traumatisierend können Extremwetterereignisse wie im Ahrtal sein. Es ist sehr belastend, wenn das Haus wegschwimmt, man alles sehr langsam wieder auf bauen muss und Angst hat, dass man vergessen wird. Manche Menschen entwickeln nach so einem Ereignis eine Traumafolgestörung. Ob, das hängt davon ab, wie die soziale Unterstützung ist und wie gut man dieses Trauma verarbeiten kann. Im schlechtesten Fall können eine posttraumatische Belastungsstörung, Depressionen, Angst- oder Zwangsstörungen und Somatisierungsstörungen folgen. Bei Somatisierungsstörungen drückt sich psychisches Leiden in körperlichen Symptomen aus.

BIO: Wie reagieren speziell Kinder und Jugendliche auf diese klimawandelbedingten Belastungen?

Katharina van Bronswijk: Anders als Erwachsene und Jugendliche können Kinder ihre Gefühle häufig noch nicht so genau benennen, weshalb sich Belastungen häufiger in körperlichen Symptomen ausdrücken. Zum Beispiel in chronischen Kopfschmerzen oder Bauchschmerzen. Oder es ändert sich etwas in ihrem Verhalten. Wenn Kinder plötzlich aggressiver werden, kann das ein Hinweis darauf sein, dass das Kind belastet ist und nicht so richtig vermitteln kann, was bei ihm los ist. Kinder können auch Ängste entwickeln. Wenn ein Kind eine Überflutung überlebt hat, kann sich seine posttraumatische Belastungsstörung darin ausdrücken, dass es nicht mehr ins Schwimmbad gehen will. Bei Jugendlichen sehen psychische Erkrankungen ganz ähnlich aus wie bei Erwachsenen. Sie können klarer die Zusammenhänge benennen und etwa sagen: Ich habe Albträume von der Flut oder ich mache mir Sorgen wegen der politischen Untätigkeit.

BIO: Welche Gefühle kommen in uns auf, wenn wir uns mit der Klimakrise beschäftigen?

Katharina van Bronswijk: Wenn man sich mit der Aussicht auf die Zukunft beschäftigt, können Sorge oder Angstempfinden auftreten. Empörung darüber, wenn Politik nicht im Sinne des Klimaschutzes handelt, oder Wut, die man vielleicht auf blockierende Konzernchefs und den Nachbarn, der einen SUV fährt, hat. Wir empfinden Trauer darüber, dass Tierarten aussterben und dass der Wald, den man in der Kindheit so sehr geliebt hat, nicht mehr so existiert. Die Zuversicht darauf, dass wir noch etwas retten können, kann aber auch motivierend sein. Da steckt ganz viel drin in der Klimakrise.

BIO: Vor allem viele negative Gefühle ...

Katharina van Bronswijk: Alle Emotionen sind evolutionär sinnvoll. Es ist total normal und ganz wichtig, dass wir Gefühle haben. Gefühle zeigen uns, was wir gerade brauchen, und motivieren uns, uns um unsere Bedürfnisse zu kümmern. Sie geben uns auch die Energie dazu. Angenehme und unangenehme Emotionen sind gleichermaßen wichtig und haben unterschiedliche Funktionen. Angst zum Beispiel zeigt uns, dass wir uns in einer gefährlichen Situation befinden oder dass wir eine potenzielle Gefahr auf uns zukommen sehen. Angst sagt uns dann: »Achtung, Achtung, du musst dich schützen!«

BIO: In Ihrem Buch plädieren Sie dafür, Gefühle als Verbündete im Kampf gegen den Klimawandel zu begreifen. Wie kann uns Angst dazu motivieren, mehr für den Klimaschutz zu tun?

Katharina van Bronswijk: Wenn wir lernen, unsere Emotionen zuzulassen und die Bedürfnisse und Werte dahinter zu erkennen, sind sie der größte Antrieb, den ein Mensch haben kann. Dafür muss man herausfinden: Was ist der Wert, der für mich dahintersteht? Geht es mir beispielsweise um Gerechtigkeit, Gesundheitsschutz oder Sicherheit? Und wie kann ich mich darum kümmern? Wenn es zum Beispiel darum geht, Angst davor zu haben, dass eine Flut kommen könnte, weil ich in einem bedrohten Gebiet lebe, kann ich mich fragen: Wie kann ich für meine Sicherheit sorgen? Konkrete Pläne zu machen oder sich zum Beispiel dafür einzusetzen, dass die Politik für bessere Extremwetterwarnsysteme sorgt, wären wichtige Konsequenzen, die man aus dem Gefühl der Angst ziehen kann.

Eine Möglichkeit, die sehr vielen Menschen im Umgang mit der Unsicherheit in der Klimakrise hilft, ist, sich mit anderen zusammenzuschließen und gemeinsam zu schauen: Wie können wir die Gesellschaft der Zukunft schaffen, in der wir leben wollen? So ähnlich kann man die anderen Klimaemotionen auch nutzen, Wut zum Beispiel. Empörung weist meistens darauf hin, dass eine Grenze überschritten wurde oder dass wir etwas als ungerecht empfinden. Diesen Ärger kann man kanalisieren, indem man einen Leserbrief schreibt oder in die Bürgersprechstunde geht und mit einem Verantwortlichen spricht.

BIO: Was ist mit dem Gefühl der Trauer?

Katharina van Bronswijk: Ich glaube, dass sowohl Wut als auch Trauer unterschätzt werden in der öffentlichen Debatte über Klimagefühle, weil die Angst immer in den Vordergrund gestellt wird. Außerdem läuft viel vom Trauerprozess im Hintergrund ab. Trauer ist der Heilungsschmerz der Seele, der mir zeigt: Hier ist mir etwas verloren gegangen, was mir sehr wichtig war. Und Trauer hilft uns, diesen Verlust zu verarbeiten. In der Klimakrise gibt es sehr viele Aspekte von Verlust. Das Bienensterben war für viele Menschen schockierend und traurig. Wenn einem klar wird, dass die Wälder die Hitze nicht mehr abfangen können, macht uns das traurig. Wir verlieren ein Stück Heimat, das uns stets ein gutes Gefühl gegeben hat und das wir unseren Kindern und Enkelkindern nicht mehr werden zeigen können.

BIO: Wie lässt sich verhindern, dass Trauer, Angst oder Wut zu einer psychischen Belastung führen?

Katharina van Bronswijk: Man muss die goldene Mitte finden zwischen einem Reinsteigern und dem Verdrängen oder Vermeiden des Gefühls. Langfristig hilft es uns nicht weiter, wenn wir an unseren Bedürfnissen vorbeileben. Auch bei der Trauer kann ich mir überlegen, was mir das Gefühl gerade sagen will, und mich fragen: Was kann ich denn jetzt tun? Wohin kann ich dieses Gefühl kanalisieren? Was kann ich zur Lösung der Umweltprobleme beitragen? Da kann ich zum Beispiel anfangen, meinen individuellen CO2-Fußabdruck zu verringern. Oder ich engagiere mich bei der örtlichen Klimaschutzbewegung und baue für die Demo die Bühnentechnik auf oder koche bei Veranstaltungen für die Teilnehmer. Man kann ganz viel für das Klima tun. Jeder Beitrag ist wertvoll. Wichtig ist, zu schauen: Was ist meine Stärke? Und zu spüren, ich kann mit dem, was ich habe, schon ganz viel bewegen.

Lesen Sie das gesamte Interview in BIO 5|22 ».

Das Interview führte Helena Obermayr.
Bearbeitung durch die Onlineredaktion (ar)

Porträt von Katharina van BronswijkKatharina van Bronswijk ist als Sprecherin der »Psychologists for Future« gut vertraut mit den komplexen Zusammenhängen zwischen Umweltkrisen und psychischer Gesundheit, zu denen sie regelmäßig Vorträge hält, Interviews gibt und publiziert. Die Psychologin und Verhaltenstherapeutin ist seit 2009 im Klimaschutz aktiv, unter anderem bei Greenpeace, und betreibt eine eigene Praxis in der Lüneburger Heide.

 

 

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Klima im Kopf. Angst, Wut, Hoffnung: Was die ökologische Krise mit uns macht

Katharina van Bronswijk

oekom verlag 2022

208 Seiten, 22 Euro

Das gesamte Interview finden Sie in 

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